Kurt Marti Zitate – Seite 3
→Sinnlicher Akt Immerzu tut man dergleichen, als lese ein Mensch direkt mit seinem Geist. Irrtum: Wir lesen mit den Augen, mit Sinnesorganen. Lesen ist zunächst ein sinnlicher Akt: Einer der seltenen Prosaautoren, die das begriffen haben, ist Arno Schmidt.Kurt Marti
→Im Schlaf nutzt der Körper die Abwesenheit des stets betriebigen und umgetriebenen Ichs, um die Schäden auszubessern, die dieses tagsüber angerichtet hat.Kurt Marti
→Manchmal ist’s Verstorbenen anzusehen, daß selbst der Tod ein lachendes Gesicht haben kann.Kurt Marti
→Ich könnte mir einen Dokumentarfilm denken, dessen Thema seinen Titel ergibt: „Sachzwang frißt Menschenfleisch“.Kurt Marti
→Ikonenmaler beten, bevor sie zu malen beginnen. Wogegen andere zu malen anfangen, weil sie nicht anders beten können als malend. Und nochmals andere malen, ohne an Beten zu denken. Bilder, die nachher sind wie Gebete.Kurt Marti
→Geschlagen, gestreichelt vom Bewußtsein meiner Nichtswürdigkeit, tarne ich mich mit dem Habitus, dem „Anzug“ eines Stoikers, den ich überhaupt nicht mag.Kurt Marti
→Macher Gefragt sind „Macher“. Wer sich einmal den Ruf als solcher erwerben konnte, hat alle Chancen aufzusteigen in den Kreis jener obersten Macher, die gar nichts machen.Kurt Marti
→Wir Väter, dazu verdammt, unseren Kindern das Über-Ich aufzubürden: deswegen sind wir (welch zweifelhafte Ehre) so unentbehrlich für Staat und Gesellschaft.Kurt Marti
→Moralisten Moralisten, die etwas taugen, sind es mit Unlust, denn Moralist sein verdirbt den Charakter. Noch mehr freilich wird dieser geschädigt durch eine Moral, deren Verlogenheit zu entlarven die Aufgabe der Moralisten bleibt.Kurt Marti
→Noch immer spricht Hoffnung aus dem Satz, daß Gott kein Macher, sondern ein Schöpfer ist.Kurt Marti
→Armbrustzeichen Das Eigenschaftswort „schweizerisch“ meint eine spezifische Art, mit unseren Problemen nicht fertig zu werden.Kurt Marti
→Relation Im Verhältnis zu den Religionen muß Gott etwa sein, was das Meer zu Wellen, die wir an einen Hafendamm schlagen sehen.Kurt Marti
→War ich feige aus Müdigkeit? Oder war Feigheit der Grund meiner Müdigkeit? Wie auch immer: ich log.Kurt Marti
→Denken, man weiß es, braucht Zeit. Zeit aber ist – heute jedenfalls – Geld. Also braucht Denken Geld. Doch will das Geld nicht, daß gedacht wird.Kurt Marti
→Welche wohltat einmal auch sagen zu dürfen: nein, er war nicht tüchtig und wechselte oft die stelle.Kurt Marti
→Gott, so denkt man oft, so verkünden Eiferer lauthals, sei Antwort. Spröder sagt die Bibel, daß er Wort sei. Und wer weiß, vielleicht ist er meistens Frage: die Frage, die niemand sonst stellt.Kurt Marti
→Daß das Weltall finster, daß es schwarz sei, mache ihm Angst, vertraute ein alter Mann mir an. Meine Einfühlung ließ mich im Stich. Mir ist die Finsternis des Alls schnuppe. Ich habe nicht die Absicht, astronautische oder postmortale Ausflüge dorthin zu unternehmen.Kurt Marti
→„Die Kirche ist auch für die Arbeiter da“, sagte der Pfarrer. Niemand hatte etwas dagegen. Nur war in der Kirche, wie meistens, kein Arbeiter da.Kurt Marti
→Durchreise Gott reist durch – durch uns hindurch. Vielleicht läßt er etwas mitlaufen von uns?Kurt Marti
→Statistik: Arme werden schneller krank, langsamer gesund und sterben früher als Begüterte.Kurt Marti
→„Immer“: mehr als „immer wieder“, aber weniger als „ewig“, weil nach wie vor der Zeit verhaftet, was im, französischen „toujours“ noch deutlicher wird.Kurt Marti
→Lügen gibt es, die so schön, so phantastisch und spannend sind, daß es jammerschade wäre, wenn sie nicht erzählt worden wären – Triumph der Ästhetik über die Ethik.Kurt Marti
→Kann technokratische Disziplin uns vor dem Untergang retten oder ist sie schon dessen Beginn?Kurt Marti
→Extra caritatem nulla salus – „Außerhalb der Kirche kein Heil.“ Neutestamentlich müßte der Satz lauten: „Außer der Liebe kein Heil.“Kurt Marti
→Heillos gesund überlebt der kirchliche Apparat das Verschwinden Gottes aus ihm. Er hat es nicht einmal bemerkt.Kurt Marti
→Die Kirche des Geistes sind unsere Körper, schrieb der Epileptiker einst nach Korinth (1. Korinther 6.19). Erst später: Kirchen aus Stein.Kurt Marti
→Voyeurismus Voyeurs, elende, die wir an Sterbebetten, aufgewühlt oder kühl, die schrecklichste Vergewaltigung eines Nächsten beäugen, ohne uns der Dreistigkeit zu schämen, weiterzuleben, während er stirbt.Kurt Marti
→Transzendenz. Dessen unfaßliche Macht sich darauf gründet, keine zu haben. Oder jedenfalls keine in einem uns geläufigen Sinn.Kurt Marti
→Mehr und mehr erschöpft mich nicht enden wollende Trauer, sagte er, doch hat mein Körper noch nicht die passende Krankheit gefunden für sie. Inzwischen bin ich gesund.Kurt Marti
→Die Konjugation hat recht: ohne Ich kein Du, kein Er, keine Sie usw. Nichts ist, wo nicht Ichs sind.Kurt Marti
→Überall nimmt alles überhand. Je zerstörter unsere Sinne, desto sinnloser wird zerstört. Weder essen noch trinken noch Liebe machen bleibt heute, falls einem am Weiterleben gelegen ist, ohne Vorsichtsmaßnahmen möglich.Kurt Marti
→Ein Grab greift tiefer als die Gräber gruben, denn ungeheuer ist der Vorsprung Tod. Am tiefsten greift das Grab, das selbst den Tod begrub, denn ungeheuer ist der Vorsprung Leben.Kurt Marti
→Mit Geld verhält sich’s ähnlich wie mit Gott: Noch ehe wir lernen, mit ihm umzugehen, geht es mit uns um.Kurt Marti